Liebe Lesende,
am 25. Januar wurde die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegebene ForuM Studie zu sexualisierter Gewalt veröffentlicht.
Der Leiter der Studie, Prof. Martin Wazlawik, sagte am 25. Januar im livestream: „Wir kennen jetzt die Spitze der Spitze des Eisbergs.“ Das hat mich erschüttert. Am meisten aber hat mich die Rede von Katharina Kracht beschämt, die für den Betroffenenbeirat das Wort ergriffen hatte. Ich konnte spüren, wieviel Kraft es sie kostete. Seither empfinde ich noch viel mehr Respekt und Mitgefühl für all die Betroffenen, die es auf sich genommen haben, von ihrem Leid zu erzählen. Damit haben sie die Studie erst ermöglicht.
Die Studie nimmt die Evangelische Kirche in Deutschland seit 1945 in den Blick. Innerhalb unserer hannoverschen Landeskirche wissen wir von 122 bestätigten Fällen und Verdachtsfällen. Diese Zahl bildet aber ausdrücklich nur einen Ausschnitt dessen ab, was Betroffene in unserer Landeskirche erlitten haben. Es ist vor allem der Umgang mit dem Leid der von sexualisierter Gewalt Betroffenen, der mich zutiefst beschämt. Was jetzt nochmal überdeutlich geworden ist: Sexualisierte Gewalt hat auch in der evangelischen Kirche einen Raum gefunden. Betroffenen in unserer Kirche wurde großes Unrecht zugefügt. Das ist ein Missbrauch von Vertrauen und widerspricht zutiefst meinem Bild von Kirche als Schutzraum und steht gegen alles, was christliche Verkündigung ausmacht. Diese Einsicht empfinde ich als besonders bitter.
Ich habe direkt nach dem Erscheinen der Studie offiziell Nachricht aus dem Landeskirchenamt erhalten, dass aus dem Kirchenkreis Hildesheimer Land-Alfeld keine Fälle vorliegen, die in der ForuM Studie berücksichtigt waren. Wir wissen aber aus den Ausführungen der Studie, dass es deutschlandweit ein Dunkelfeld gibt, dessen Ausmaße wir nicht kennen. Deshalb möchte ich allen Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen waren oder sind, ausdrücklich Mut machen, ihr Schweigen zu brechen, sich zu melden und sich an die Fachstelle der Landeskirche, an die zentrale Anlaufstelle HELP oder an nichtkirchliche Beratungsstellen zu wenden.
Schutzbefohlene zu schützen und zu stärken, ist unser wichtigstes Anliegen. Im Bereich unserer Kita- Trägerschaft des Kirchenkreises, zu der 26 Einrichtungen gehören, haben wir seit Jahren ein Schutzkonzept erarbeitet, das zusammen mit einem Verhaltenskodex in all unseren Einrichtungen in die Praxis umgesetzt wird. Diese Konzepte werden stetig fortgeschrieben. Die Erkenntnisse der Studie werden in diese Fortschreibung eingearbeitet. Schutzbefohlene schützen und stärken, das fängt ja schon in der Sprache an. Distanzlosigkeiten haben in unseren Kitas nichts zu suchen.
Auch unser Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt im Gesamtkirchenkreis ist umfänglich: es umfasst die Bereiche der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, den Konfirmandenunterricht, die Freizeiten, aber auch den Bereich der Kirchenmusik, der Küsterarbeit und des Gemeindebüros. Alle unsere Hauptamtlichen haben die Schulung zur Thematik durchlaufen. Wir sind durch diese Schulungen sensibilisierter und aufmerksamer geworden. In der Folge werden nun weitere Berufsgruppen und leitende Ehrenamtliche geschult. Wir wissen aber: Ein Schutzkonzept ist eine Handlungsgrundlage, die niemals fertig ist. Weil es dabei auch immer um Haltung und Aktualisierung durch neue Erkenntnisse und Erfahrungen geht. Jetzt arbeiten wir daran, das Schutzkonzept in die Fläche unseres großen Kirchenkreises in die Gemeinden zu tragen, um auf allen Ebenen unseres Kirchenkreises eine Kultur der Achtsamkeit und der Sprachfähigkeit zu befördern. Da sind wir alle gefragt.
Katharina Henking, Superintendentin